Vorbemerkungen:

Wir erinnern uns an die Expedition von RA9LI/9 von Juli bis September 1995 auf eine der Inseln, die der Halbinsel Jamal in der Kara-See vorgelagert sind. AS-089, ( RR 06-03 ), die Inselgruppe "Sharapovy-Koshki",  auf  71°N,  66°E.  Leider wird diese Inselgruppe, wie auch sicherlich viele der Inseln der Russischen Arktis immer weniger "in der Luft" sein. Das hat eine ganze Reihe von Gründen, wobei der Hauptgrund die katastrophale Lage der russischen Wirtschaft ist, die sich natürlich im besonderen Maße auf den Fortbestand der Polarforschung in allen ihren Zweigen auswirkt. Viele der Forschungs-, Beobachtungs- und metereologischen Stationen und Stützpunkte im hohen Norden Rußlands wurden geschlossen, haben wegen finanzieller Schwierigkeiten ihren Betrieb eingestellt oder mußten ganz einfach evakuiert werden. Akuter Treibstoffmangel trägt auch seinerseits dazu bei, daß viele Inseln nicht mehr angeflogen werden können. Eine Amateurfunk-Expedition rückt damit auf der Prioritätenliste natürlich noch weiter nach hinten. Andererseits wird in diesen Bericht jedoch auch deutlich, welche Unterschiede zwischen dollarschweren Expeditionen und dem fast "wahnwitzigen" Unterfangen von RA9LI  bestehen.

Hier nun der Bericht von Wassilij:

Was zuvor geschah:
Meine erste Expedition auf die Inselgruppe "Sharapovy Koshki" AS-089  fand 1991 statt, vom 30. Juli bis 9. August. In dieser Zeit hatte ich kein Stromaggregat, ür die Stromversorgung meines Transceivers "UA1FA" (eine in der damaligen Sowjetunion sehr bekannte und oft nachgebaute Entwicklung von UA1FA, J. Lapovok aus St. Petersburg, ..DL6ZFG),  benutzte ich Akkumulatoren und einen Transverter von 24 auf 220 V. Nach einigen kurzfristigen Expeditionen auf die Insel Belij  ( AS-083 )  reifte in mir der Gedanke, die Expedition auf Sharopovy Koshki in größerem Maßstabe zu wiederholen.  Zunächst wurde der Sommer 1994 ins Auge gefaßt. Bis zu diesem Zeitpunkt baute ich aus Teilen von einem Schrottplatz einer militärischen Anlage der Luftverteidigung auf Cape Charasovej und Überresten, die ich von der Insel Belij mitbrachte, ein Notstromaggregat für 220 V und 2 KW zusammen, und baute mir eine Endstufe mit 4 x G-811 (Äquivalent der amerikanischen 811A).  Knackpunkt und Risikofaktor in meiner Ausrüstung blieb aber immer noch mein alter selbstgebauter "UA1FA", mit dem ich bereits seit 1987 arbeitete und den ich 1991 mit nach Cape Charasovej brachte. Mein Transceiver  fiel aber in all den Jahren unter schwierigsten  Bedingungen nur wegen einiger kalter Lötstellen oder Kabelbrüche nach der ewigen Hin- und Herschlepperei,  der Hubschraubertransporte, des nicht gerade pfleglichen Umganges bei Lade- und Entladearbeiten bei Hubschrauber-Einsätzen aus. Diese Stellen waren schnell gefunden und repariert.  Ein weiterer Schwachpunkt war das zusammen- gestoppelte Benzin-Aggregat.  Es hatte keinen Anlasser,  d.h. bei dem qualitativ sehr schlechten Benzin und bei Temperaturen von 8 - 10° C gab es große Probleme beim manuellen Anwerfen des Motors.
Nun kam aber die geologische Expedition, bei der ich arbeitete, im Sommer 1994 in eine äußerst komplizierte ökonomische Situation, es fehlte selbst das Geld um die Flugzeuge zu bezahlen, welche die Mitarbeiter der Expedition von Tjumen zur Basis der Expedition auf Cape Charasovej bringen sollten. Vom 6. Mai bis Ende August konnte kein einziger Versorgungsflug durchgeführt werden und so konnte auch meine Ablösung nach einem dreiviertel Jahr Dienst nicht anreisen.  Ich war allein auf meiner Funkstation, wo ich ununterbrochen, rund um die Uhr, Verbindung mit der "großen Welt" halten mußte, und da gab es natürlich keine Möglichkeiten, diese verantwortungsvolle Arbeit wegen meiner eigenen Amateurfunkpläne zu verlassen. Ende August kam endlich mit dem ersten Flugzeug auch meine Ablösung und ich bereitete schnell alle meine Sachen vor, um auf die Insel zu fliegen.  Ich hoffte, wenigstens noch 2 bis 3 Wochen von dort qrv sein zu können, da diese Expedition zwischenzeitlich auch in der AFU-Medien angekündigt worden war. Allerdings zwei Tage vor dem geplanten Termin,  der Hubschrauber-Flug war bereits genehmigt,  verschlechterte sich das Wetter: es stürmte, regnete und schneite, die Temperaturen fielen von 7 - 8 ° C auf unter Null. In den nächsten 3 Wochen änderte sich das Wetter nicht, die Temperaturen sanken noch mehr ab. Unter diesen Bedingungen, völlig auf sich gestellt auf eine unbesiedelte arktische Insel zu fliegen,  war ganz einfach lebensgefährlich. So endete meine Expedition auf Sharapovy Koshki, ohne erst begonnen zu haben.

Zweiter  Versuch:
Sofort schmiedete ich Pläne für den nächsten Sommer; die bisher gemachten Erfahrungen sollten dabei gleich berücksichtigt werden.
Es muß angemerkt werden, daß alle meine Expeditionen auf Sharapovy Koshki, die Insel Belij usw. meine ureigensten Initiativen waren,  von mir selbst finanziert wurden. Ich konnte sie nur während meiner freien Zeit, im Urlaub durchführen, oder in Abstimmung mit meinen Kollegen, die dann meine Arbeit miterledigten, dafür aber auch meinen Lohn einstrichen!
Die Vorbereitungen für das Jahr 1995 begannen im Januar als ich nach Hause nach Tjumen kam. Ich hatte insofern Glück, daß ich im November 1994 meinen Lohn für 10 Monate Arbeit im Jahre 1994 erhielt (von Jan. bis Okt. hatte ich überhaupt kein Geld bekommen).  Die Summe war also entsprechend groß, umgerechnet etwa 3000 Dollar.  Ich kaufte 2 Bezinaggregate - eines für 220 V und 2 KW mit Anlasser und eines für 24 V und 1 KW als Reserve bei möglichem Ausfall des ersteren,  sowie Akkumulatoren 24 V, 125 A/h für die Stromversorgung des Transceivers mittels Transverter und für die UKW-Flugfunkstation, die ich bereits hatte und die lebenswichtig war für mich zur Aufrechterhaltung des Funkkontaktes mit dem Hubschrauber bzw. Flugzeug bei Ausfall beider Aggregate und bei einem eventuellen Notfall. Alle diese Ausrüstungsteile schickte ich nach und nach mit bekannten Piloten nach Cape Charasovej. Blieb immer noch die Schwachstelle Transceiver. Ich versuchte Sponsoren zu finden, die mir wenigstens 1000 Dollar borgen könnten, um einen japanischen Transceiver zu kaufen, aber an wen ich auch kam... meine Amateurfunk-Geschichte interessierte niemanden, ich fand kein Geld !!
Im Mai flog ich dann nach Cape Charasovej. Dort setzte ich neben meiner Arbeit die unmittelbaren Vorbereitungen fort, baute die Stromaggregate zusammen und testete sie, lud die Akkus, kaufte 600 Liter Benzin und füllte diesen in Fässer, kaufte eine zusätzliche Starterbatterie für das 2 KW-Aggregat. Weiterhin testete und überholte ich meínen Transceiver und die Endstufe, die den ganzen Winter in Charasovej rumstanden, bereitete die Antenne, Gegengewicht und einen 10 m - Steckmast mit Abspannungen vor. Dann kaufte ich Verpflegung und bereitete alles für einen Aufenthalt von etwa 1,5 Monaten auf einer unbewohnten arktischen Insel vor. An jede Kleinigkeit mußte gedacht, nichts durfte vergessen werden , angefangen von Teller über Löffel bis hin zum Filter fürs Benzin. Der Zettel mit allen Sachen, Verpflegung, Ausrüstung und Werkzeug enthielt über 200 Positionen.
Ende Juni wollte ich nochmals für 1-2 Wochen nach Tjumen fliegen, wollte nochmals versuchen, bei jemanden aus meinem Bekanntenkreis einen Transceiver und vielleicht eine Videokamera zu borgen, etliche Kleinigkeiten einzukaufen, speziell Filme für den Fotoapparat, aber es gab wieder Probleme mit den Flugzeugen. Kein Sprit, kein Geld und wenn ich wirklich nach Tjumen gekommen wäre, würde ich vielleicht bis Mitte Juli nicht wieder nach Charasovej zurückkommen, und da wollte ich ja zur Insel aufbrechen. Diesen Zeitpunkt hatte ich gewählt, weil die zweite Hälfte Juli - Anfang August die beste Zeit ist für ein derartiges Vorhaben: Auf dem 71 Breitengrad, auf der Halbinsel Jamal und Sharapovy Koshki taut Anfang Juli der Schnee vollständig weg, Mitte Juli bricht das Eis in der Kara-See, wir haben Polartag, d. h. es bleibt nachts über hell, Stürme sind relativ selten und manchmal erreichen die Temperaturen tagsüber Werte bis zu 20° C. Darüberhinaus , und das ist nicht unwichtig, wenn man allein ist auf einer unbelebten arktischen Insel, gibt es genügend Nahrung für Eisbären., d. h. eventuelle Begegnungen mit dem Herrscher der Arktis sind weniger gefährlich. Im Meer gibt es viele Fische und andere Meerestiere, die Eisbären sind nicht übermäßig hungrig. In meinen mehr als 20 Jahren Tätigkeit in diesen Gebieten habe ich keinen Überfall von Eisbären auf Menschen im Sommer erlebt, während das zu anderen Zeiten, im Oktober und später, durchaus des öfteren vorkam.

Arbeitsbedingungen:
Die Inselgruppe Sharapovy Koshki liegt in der Kara-See vor der Halbinsel Jamal und erstreckt sich vom 71. Breitengrad nach Süden. Alle Inseln sind unbesiedelt, liegen praktisch auf Meeresniveau, der größte Teil ihres Territoriums wird bei Flut, Sturm oder Hochwasser überflutet. Durch Strömungen, Sturm und Gezeiten ändern sich Größe und Uferlinie der Inseln ständig. Nur 2 - 3 Inseln erheben sich stellenweise 1,5 - 2 m über Meeresspiegel, im Inselinneren manchmal auch etwas höher. Auf den höheren Stellen gibt es etwas Vegetation, Gras und kleine Seen - oder besser Pfützen - mit Süßwasser von der Schneeschmelze. Im Sommer brütet hier eine Unmenge von Vögeln - Gänse, Enten und eine Vielzahl von kleineren Wasservögeln. Im Meer gibt es eine Vielzahl von Flossenfüßlern, Seehunde, Robben usw. In der Mittagssonne liegen sie am Ufer und sonnen sich. Selbstverständlich kommen auch die "Landstreicher der Arktis", die Eisbären auf die Inseln. Auf den Inseln findet sich viel von Meer und Stürmen angeschwemmtes Holz, Balken und Bretter. Anfang 1994 wurde mit Hilfe schwerer Traktoren ein Weg über das Eis zur dritten Insel ( schaut man auf der Karte von Nord nach Süd auf die Inselkette) gebahnt. Es wurde auf Schlitten eine kleine Blechbude dorthin gebracht. Ein Traktor und einige Fässer mit Diesel wurden deponiert. Im Sommer arbeiteten dann dort einige Leute, sammelten und stapelten das Holz für Bau- und Heizungszwecke für die Geologen und im darauffolgenden Winter wurde es wiederum mit Traktoren und Schlitten über das Eis abgefahren. Als das Holz abtransportiert wurde, kam es durch Unachtsamkeit zu einem Brand, die Hütte aus dünnem Blech, innen mit Sperrholz und Spanplatten ausgekleidet, brannte vollständig ab. Übrig blieb ein Eisengerippe und der selbstgebaute Kanonenofen. Dieses Wrack wurde auf der Insel zurückgelassen. Zurück blieben auch etliche leere Kanister mit einigen Tropfen Diesel. Das zeigten mir meine Arbeitskollegen aus der Geologentruppe, die dort im Sommer arbeiteten, auf der Karte. Damit hatte ich wenigstens einen Platz, wo ich mich einigermaßen vor Sturm und Regen schützen konnte und wo ich eventuell warmes Essen und heißen Tee kochen konnte. Die Funk- und Relaisstation, wo ich arbeitete, befand sich in einer Entfernung von etwa 1,5 km von der Geologenbasis. Meine ganze Ausrüstung lagerte an meiner Funkstelle. Im Sommer ist die aufgetaute Tundra für Räderfahrzeuge unüberwindlich, nur Kettenfahrzeuge sind in der Lage, sich im bodenlosen Sumpf fortzubewegen. Mit einem Traktor brachten mir die Geologen einen Schlitten mit einer Ladefläche. Nach und nach verstaute ich alle meine Ausrüstungsgegenstände, die ich in Kisten, Säcke und Fässer verpackt hatte, auf diesem Schlitten, alles in allem etwa 2 Tonnen, einschließlich 3 Fässer mit je 200 Liter Benzin. Etwa 10. / 11. Juli war ich bereit. Das Wetter war überraschend gut, Tag und Nacht Sonne, fast windstill, Temperaturen um 14 - 17° C seit Monatsbeginn, auf dem Meer einzelne Eisberge und - schollen, die großen Eismassen waren vom Wind weit vom Ufer weggetrieben worden. Der Leiter der Geologen-Expedition hatte mir versprochen, mich bei der ersten Möglichkeit mit dem Hubschrauber mitfliegen zu lassen;es zog sich aber doch noch etliche Tage hin. Es waren zwar nur 40 - 50 km von der Basis aus zu fliegen, aber jede Flugminute kostet eine Unmenge an Geld, und die Expedition verfügt nur über einen Hubschrauber MI8, der in erster Linie natürlich die Belange der in der Tundra verstreuten Geologen und ihrer Bohrstellen betreuen muß. Deshalb wurde mein Flug von einem Tag auf den anderen verschoben. Endlich, am Morgen des 16. Juli ruft mich der Hauptingenieur der Expedition, Kabir Salichov, über Funk an und teilt mir mit, daß mein Flug für den Nachmittag dieses Tages, so gegen 14 Uhr, vorgesehen ist. Ich überprüfe meine zusammengepackten Sachen, ob auch nichts vergessen wurde. Es ist alles da, ich glaube, nichts vergessen zu haben. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg zur Basis, suche den Fahrer des einzigen noch intakten Raupenschleppers (alle anderen sind kaputt). Der Treckerfahrer verspricht, meinen Schlitten in etwa 2 - 3 Stunden abzuholen, d.h. noch vor dem Mittagessen. Damit er sein Versprechen nicht vergißt, stelle ich ihm eine entsprechende Portion Sprit in Aussicht. Auf unserer Basis herrscht "das trockene Gesetz" und illegal mitgebrachte alkoholischen Getränke helfen in jeder schwierigen Situation. Auf gleiche Weise beschaffe ich mir einen Helfer zum Auf- und Abladen. Zurück auf dem Gelände meiner Funkstation erwarte ich den Traktor, der auch bald mit Getöse des 130 PS starken Diesel und Geratter ungeölter und schlecht gepflegter Ketten ankommt. Die Ankommenden trinken als erstes je 150 g 90prozentigen Sprit und rauchen eine. Danach machen sie die 1,5 Liter-Flasche Sprit alle. Ich trinke nicht. In einer der Kisten habe ich zwar ein kleines Fläschchen verpackt - das aber für die Insel nach dem ersten QSO. Wir hängen den Schlitten an die Raupe und rattern quietschend zur Geologenbasis, wo schon der Hubschrauber steht. Die Piloten machen Mittag, der Bordmechaniker hantiert am Hubschrauber. Er klärt mich auf, daß der Hubschrauber zunächst einige in der Tundra verstreute Bohrstellen anfliegen muß und mich erst auf dem Rückweg auf "meiner" Insel rausschmeißt. Also fangen wir an meine ganze Ausrüstung abzuladen und zum Hubschrauber zu schleppen. Gleichzeitig kommen aber auch die Geologen mit Riesenkästen, Bohrschläuchen, Kabeltrommeln und anderen "Schrott", den man so auf Bohranlagen zu ihrem Betrieb und notwendigen Reparaturen braucht. Dann kommen etwa 15 Bohrleute, die zu den Anlagen fliegen, alle ziemlich "lustig". Sie verladen ihre Sachen und verkriechen sich im Hubschrauber. Jetzt können wir meine Ausrüstung einladen. Im Hubschrauber, mit seinem innenliegenden großen Zusatztanks ist es entsprechend eng, meine Kisten, Kästen und Kartons verschwinden in den unterschiedlichsten Winkeln. Mit Schaudern denke ich daran, daß auf irgendeiner Bohrstelle irrtümlich ein Teil meiner Ausrüstung mit rausgeschmissen wird. Das ist durchaus möglich, denn der Hubschrauber landet an jeder Bohrstelle für höchstens 1 - 1,5  Minuten. Das Gepäck wird im wahrsten Sinne des Wortes rausgeschmissen, ohne viel zu gucken, wo und was. Aus der Stolovaja kommen die Piloten, lassen den Motor an. Auf den Lärm hin kommt der Avia-Dispatcher gerannt, prüft, ob alle Leute da sind, bespricht noch einmal mit den Piloten, wohin und in welcher Reihenfolge die Bohrstellen angeflogen werden, wo was auszuladen ist. Ich kriege so nebenbei mit, daß die Piloten noch nicht lange hier fliegen, sie kennen die Bohrstellen und ihre Lage offensichtlich nicht. Wir fliegen los. Von Zeit zu Zeit ruft der Pilot einen der Passagiere und läßt sich auf der Karte zeigen, wohin es geht. Die Leute in der Expedition arbeiten hier schon mehrere Jahre und können ohne Probleme auf der Karte die anzufliegenden Punkte angeben. Das die neuen Piloten hier ihre Schwierigkeiten haben ist normal, denn die Orientierung in der überall gleich aussehenden Tundra ist schwierig und da können Fehler schon mal auftreten. Endlich, nach etwa einer Stunde Flug und mehreren Zwischenlandungen, gehen wir auf Rückwärtskurs. Alle, die mit uns losgeflogen sind, sind an ihren Bestimmungspunkten angekommen, alles ist ausgeladen, einige neue Passagiere kamen hinzu. Ich überfliege meine Ausrüstungsteile, scheint alles noch da zu sein.
Jetzt bin ich dran, der Pilot winkt mit der Karte. Ich erkläre ihm, wo die Blechruine stehen soll.....Dritte Insel, südliches Ufer, Meerenge zwischen dritter und vierter Insel, etwas mehr am westlichen Ende.... Wir fliegen zunächst über die Tundra, dann auf das offene Meer hinaus, an den Inseln entlang nach Süden. Wieder winkt der Pilot und zeigt nach vorn. Die Sicht ist sehr gut, wir fliegen nicht sehr hoch. Einige Kilometer vor uns liegt die Blechhütte, neben ihr mehrere verrostete Fässer. Ich nicke mit dem Kopf und zeige..."Hier, wir landen". Ich bin überzeugt, hier muß es sein, ein Irrtum ist ausgeschlossen. Nach einer kleinen Runde senkt sich der Hubschrauber und setzt ruckfrei auf, ohne die Drehzahl des Rotors zu vermindern. Sofort springt der Bordmechaniker raus und kontrolliert, ob das Chassis gleichmäßig aufsetzt und nicht zu tief in den morastigen Boden einsinkt, denn, wenn die hinteren Räder tiefer einsinken und der Heckrotor irgendwo aneckt....Havarie!! Es ist aber alles in Ordnung. Der Mechaniker winkt dem Piloten...O.K. Die Drehzahl der Rotoren wird reduziert, der Bordmechaniker öffnet die hintere Ladeluke und nach wenigen Minuten liegt meine ganze Ausrüstung im wahrsten Sinne des Wortes im Dreck, im aufgeweichten nassen Tundramoos. Der Bordmechaniker schließt die Luke, springt in den Hubschrauber, die Maschine heult auf, steigt steil hoch und entschwindet in Richtung Jamal. Schnell verhallt der Lärm der Turbine, ich bin allein!

Position: 70° 29'N; 66° 42'E.
Ich setze mich auf eine Kiste, rauche eine Zigarette und mache mich an die Arbeit.  Zunächst - die Hütte. Von außen sieht sie ja leidlich aus, aber innen - eine Katastrophe. Die Innenverkleidung ist vollständig ausgebrannt, es sieht nach dem Brand saumäßig aus. In der Ecke stehen die Überreste eines eisernen Bettes, das Gestell eines Hockers, auf dem man noch sitzen kann, ein fast ganzer Tisch auf einem eisernen Gestell ....Platz für den Transceiver. Der Ofen ist auch noch recht gut erhalten. Die Tür schließt zwar nicht dicht, läßt sich aber einigermaßen zumachen. In den Wänden und in der Decke sind zwar überall mehr oder weniger große Löcher, im Sommer kann man es aber aushalten, denke ich. Als erstes schleppe ich die Akkus zum Balok ( Balok - ist die Bezeichnung hier im Norden für diese transportablen Hütten, egal ob Eigenbau oder kommerzieller Herkunft), stelle auf einem kleinen Mast die Antenne der Flugfunk-UKW-Anlage auf, schließe diese an und schalte ein. Es rauscht, beim Umschalten klackt das Sende-Relais.....offensichtlich alles in Ordnung. Ich rufe den Avia-Dispatcher auf der Hubschrauberfrequenz...keine Antwort. Keine Aufregung, es sind ca. 45 km bis zum Flugplatz und meine 3 - 4 W sind auch nicht viel, auch die Antenne steht ja nicht allzu hoch. Ich lasse das Gerät auf Empfang, nach einiger Zeit höre ich den Funksprechverkehr des Hubschraubers, mit dem ich herkam und der Bodenstation. Ich rufe den Piloten an, er antwortet. Die Verständigung ist gut, mein Rufzeichen hier auf UKW ist "Insel". Nun brauche ich mich nicht mehr zu beunruhigen, wenn erforderlich, kann ich Hilfe herbeirufen. In Ruhe kontrolliere ich, ob alle meine Sachen da sind. Eine Schachtel fehlt. Darin hatte ich einige Plasteflaschen mit Lauge für die Ersatzakkumulatoren. Liegt also noch im Hubschrauber oder wurde woanders mit ausgeladen. Ist aber nicht so schlimm - im Notfall kann ich die Akkus auch mit reinem Süßwasser auffüllen, was ich in der Folge auch mehrmals praktizierte. Alles andere war da. Ich packe den Transceiver und den Transverter aus, klemme die Akkumulatoren an und als Antenne ein Stückchen Draht. Es rauscht auf 14 Mhz, ich höre ein paar Stationen in CW und SSB. Alles O.K. Ich beginne mit dem Aufbau der Antenne, eine Groundplane für 14 Mhz. Es ist meine einzige Antenne, sie hat sich gut bewährt 1991 auf Sharapovy Koshki (damals war ich auf der ersten Insel, der nördlichsten und nächsten an Jamal) und bei mehreren Abstechern auf die Insel Belij von Mai 1991 bis Februar 1994.  Ich bereitete einen Platz für die Antenne und die Abspannungen vor  und schlug die Eisenhäringe für die Abspannseile ein. Die Häringe lassen sich gut einschlagen, ich hoffe, sie werden auch mögliche Stürme überstehen. Der Mast besteht aus Dur-Aluminiumstangen von 1,60 m Länge und 60 mm Durchmesser von einer militärischen Funkstation. Die beiden längsten Stangen haben Führungsmuffen und bilden mit einer kleinen Winde den Unterbau. Dann werden die Rohre nacheinander zusammengesteckt und mit der Winde angehoben. Auf die oberste Stange wird der Isolator mit Strahler, Gegengewicht und der Fiderleitung aufgesetzt. Der Strahler mit seinen 4 schräg nach unten gerichteten Radials, an denen die Abspannleinen angebracht sind, wird über ein 50 Ohm-Koax-
Kabel gespeist. Eine solche Antenne habe ich bereits mehrmals allein aufgebaut, es ist nur eine ewige Rennerei rundherum, um die Abspannungen zu lockern, den Mast hochzuschieben und das ganze wieder von vorn usw. Nach dem Aufbau der Antenne, beschloß ich,  sie erstmal nur auf 5 m zu bringen und provisorisch abzuspannen, um den Transceiver auf Sendung zu testen. Ich schloß das Antennenkabel an und schaltete den Transceiver ein.

Das erste QSO:
Die erste Station, die ich in Fone höre, ist mein guter alter Bekannter, UA0KCL, Jurij aus Pewek auf Tshukotka. Eine wahrhaft angenehme Überraschung. Jura ist im QSO mit einer UA4-Station. Obwohl ich nicht mit einer Antwort rechne, rufe ich Jura an. Er antwortet mir. Gegenseitige Begrüßungen, guter Rapport für mein SSB - Signal mit gerademal so etwa 40W. Ich berichte ihm, wo ich bin, womit ich arbeite und erhalte die Glückwünsche für meine erneute IOTA-Expedition und die besten Wünsche für viel Erfolg für die Arbeit aus AS-089. Danach fahre ich noch einige QSO's mit anderen russischen Funkamateuren. Der erfolgreiche Beginn meiner Tätigkeit im Äther, die überraschende Begegnung mit meinem alten Freund muß gefeiert werden ! Ich suche die Flasche mit dem Sprit raus, eine Dose Konserven, Brot. Ich wünsche mir selbst alles Gute und nehme einen ordentlichen Schluck unverdünnten Sprit.

Wohnlich:
Nach einer kurzen Ruhepause schiebe ich die Antenne auf die endgültige Höhe, richte den Mast mittels der Abspannungen aus, befestige die Abspannleinen und fahre noch etliche QSO's. Danach bringe ich wenigstens die für heute notwendigsten Sachen in die Hütte, packe ein paar Lebensmittel aus, Schlafsack, Signalraketen für den Fall des Auftauchens von Eisbären. Ich bereite das Nachtlager vor, heize den Ofen an - Holz lag ja genügend rum. Danach hole ich einen Topf, in einigen zehn Metern von der Hütte gab es eine kleine Pfütze mit Süßwasser, nicht tief, aber klar. Vorsichtig, um keinen Schlamm aufzuwirbeln, schöpfte ich etwas Wasser für das Abendessen und um mich zu waschen. Für heute reichts, morgen finde ich einen größeren und tieferen See, ich habe ihn vom Hubschrauber aus gesehen , ein paar hundert Meter von der Hütte. Ich bereitete mir ein Abendessen aus Konserven, brühte einen Tee auf, nahm noch ein paar Schlückchen Sprit - diesmal mit Wasser verdünnt - eine letzte Zigarette vor dem Schlafen und ab in den Schlafsack. Morgen gibt es noch viel zu tun - Hütte saubermachen und einrichten, Stromgenerator in Gang bringen und natürlich - Aktivität im Äther. Es scheint so, kaum hatte ich die Augen geschlossen, rasselt der Wecker. Es ist früh am Morgen, Zeit sich an die Arbeit zu machen. Zunächst - Tee und eine Zigarette! Danach bringe ich die Hütte in einen relativ "normalen" Zustand, zerre die Stromaggregate näher heran, das Aggregat für 220 V wiegt ca.200 kg , ich bewege es auf dem sumpfigen Untergrund, indem ich runde Bäume und Äste, die ich am Ufer fand, darunterlege. Das Aggregat für 24 V und die große Starter-Batterie wiegen nochmals je 70 kg. Einfach tragen - sehr unbequem...auf dem Sumpfboden zerren und schieben - geht auch nicht so einfach! Mit den Fässern war die Sache leichter, die konnte ich einfach kullern! Den Rest brachte ich nach und nach zur Hütte, es brachte mich ordentlich ins Schwitzen. Kabel ran an die Aggregate, auftanken, anlassen.....alles OK. Die Aggregate liefen, die Generatoren lieferten Strom. Ich baute die Endstufe auf, bedeckte den "Tisch" mit sauberen Papier, rückte die Apparatur zurecht und legte alles bereit  -  Uhr, Kuli,  Bleistifte, Logbuch natürlich auch Zigaretten und Aschenbecher und vieles andere, was man so braucht! Aus den Kisten und Kästen baute ich einen "Küchentisch", ordnete das Geschirr und die Lebensmittel, aus einer großen Blechbüchse, die ich in der Nähe fand, baute ich mir eine Waschgelegenheit. Kurz und gut, ich richtete mich ein! Ich konnte also leben und arbeiten (wenn die Technik nicht versagt); nach meinen überschlägigen Rechnungen müßte das Benzin etwa 1 Monat lang reichen bei 12 Stunden Arbeit des 2-KW-Aggregates pro Tag. Die Lebensmittel sollten für 1,5 Monate reichen, nur Zigaretten, Zucker und Brot etwa für einen Monat. Makaroni und Fleischkonserven hatte ich für mehr als einen Monat. OK,  es lag also ein Monat einsames Leben vor mir, und angestrengte Arbeit im Äther auf einer unbewohnten Insel. Nachdem ich die Hütte einigermaßen bewohnbar gemacht hatte, beschloß ich, eine entsprechende Wasserstelle mit gutem Trinkwasser zu suchen. Vom Dach der Hütte fand ich mit dem Fernglas einen gut aussehenden kleinen See in etwa 800 m Entfernung und machte mich auf den Weg, Wasser zu holen, nicht ohne für alle Fälle ein paar Signalraketen einzustecken. Auf dem Weg zum See erwartete mich jedoch eine weitaus größere Gefahr als ein Bär. Vor mir erhob sich von seinen Nestern ein ganzer Schwarm von riesigen Dohlen, die ihre Jungen verteidigten. Mit ohrenbetäubendem häßlichem Gekreisch kreisten sie niedrig über mir und es wurden immer mehr. Als es mehrere Dutzend waren, gingen sie zum Angriff über - sie attackierten mich von hinten, kreischten gottsjämmerlich und hackten mit ihren langen spitzen Schnäbeln auf mich ein, immer versuchend,  mich am Kopf zu treffen. Es war wie im Kino! Ohne bis ans Wasser zu kommen, mußte ich mich Hals über Kopf vor der Meute der aufgebrachten Vögel in Sicherheit bringen. Ich kehrte zu meiner Hütte zurück und setzte meine Panzerhaube auf, die ich gewöhnlich im Hubschrauber trug. In Zukunft ging ich nur damit Wasser holen, um mich vor den Angriffen der gemeinen Vögel zu schützen, die immer von hinten meinen Kopf attackierten. Nach dem Mittag machte ich einige Dutzend QSO´s mit dem Transceiver solo mit Batterie und gegen 12.30 UTC startete ich das 2 KW Aggregat und begann mit Endstufe auf 14.260 kHz zu arbeiten. Sehr gut ging es gewöhnlich nach ganz Europa, ohne Probleme ging es auch nach Japan und Nordamerika. Mit Nordamerika arbeitete ich jedoch nach 19 - 20.00 Uhr UTC in Telegrafie, denn diese Stationen waren schwächer zu hören als Europa und Japan. Spät in der Nacht am 17.Juli machte ich mir zu Ehren des Beginns des normalen Funkverkehrs ein "Galaessen" und leerte auch die leider nicht bodenlose Flasche mit "Feuerwasser".

QSO mit DL6ZFG:
Um 16.18 UTC fand nach langer Pause auch das erste QSO mit meinem Freund Rolf, DL6ZFG, statt, der gerade aus dem Urlaub kam und mir nochmals die bereits vorher getroffene Vereinbarung bestätigte, für diese Expedition mein QSL-Manager zu sein. Ich nutze die Gelegenheit hier, um  ROLF RAHNE,  DL6ZFG, besonders zu danken für die Unterstützung meiner Expedition, für den Druck und Versand der QSL-Karten und ebenso für die Übersetzung und Bearbeitung dieses Berichtes. (Anmerkung: Ich hatte dann fast täglich, auch in den schweren letzten Tagen Kontakt mit Wassilij. -DL6ZFG).
Ab 18. Juli begann dann die regelmäßige Arbeit im Äther in CW und SSB. Folgender Tagesablauf stellte sich ein: etwa ab 15 - 16.00 UTC QRV mit Endstufe und 2-KW-Aggregat bis 2 oder 3.00 Uhr, danach Schlaf bis 5.50 UTC. Um 6.00 UTC Sket mit dem Amateur-Notfunkdienst "RAS" (auf 14.292 kHz - DL6ZFG) . Ab 7.00 UTC für 3 - 4 Stunden mit Transceiver solo und Batteriebetrieb QRV für Rußland und die anderen Staaten der GUS. Danach Mittagessen, betanken des Benzinaggregates, Schlaf bis 15 -16.00 UTC und nach dem Start des Aggregates wiederholt sich alles. Pro Tag schlief ich 2 - mal 3,5 - 4 Stunden,  je nach Bedingungen. Nur manchmal bei schlechten Ausbreitungsbedingungen und zu Contesten, wo CW  und SSB zugleich liefen, gönnte ich mir etwas mehr Schlaf. Sehr viel Zeit nahm die notwendige Wartung der Benzinaggregate in ihren Arbeitspausen in Anspruch. Ich mußte immer wieder sehr sorgfältig das Benzin filtern, große Mengen an Rostpartikel, Wasser und anderer Dreck mußten entfernt werden. Trotz des Filterns  bildeten sich an den Kerzen des 2-Zylinder-Motors regelmäßig Verbrennungsrückstände. Nach Abschalten und Abkühlen des 12 - 14 Stunden laufenden Aggregates, lies es sich ohne entsprechende Säuberung der Kerzen und des Vergasers nicht wieder starten. Regelmäßig mußte ich Benzin -, Öl -  und Luftfilter säubern, Ölwechsel machen, Zündung einstellen, die Kontakte des Generators säubern und...und...und. Außerdem machten mir  kleine aber oft auftretende Unregelmäßigkeiten  das Leben schwer. Da brannte einmal der Vergaser, dann klemmte der Drehzahlregler, irgendwie löste sich die Mutter vom Magnetschalter und flog irgendwohin davon, durch das Vibrieren brachen die Kabelanschlüsse am Generator ab usw. usw. Parallel dazu mußten die Akkumulatoren mit dem 24-V-Reserveaggregat geladen werden; dazu mußten alle Verschlüsse der 20 Elemente des Akkus aufgeschraubt werden, der 6-stündige Ladevorgang überwacht und reguliert werden, sauberes Wasser aufgefüllt und nach dem Ladevorgang nach 2 Stunden alle Verschlüsse wieder zugeschraubt werden. Ich mußte Holz am Ufer sammeln und zerkleinern, aus den alten leeren Fässern versuchen etwas Diesel zu schöpfen, damit das nasse Holz leichter anbrennen konnte, ich mußte Wasser holen und dabei durfte ich 2 - 3 Raketen nicht vergessen (vielleicht verirrt sich doch ein Eisbär in meine Nähe), ich mußte mir hin und wieder etwas zu essen machen und manchmal sollte man auch ganz einfach mal 5 Minuten mit einer Zigarette dasitzen und an nichts denken!!!

Eisbär:
Apropos Eisbär - ich habe einen Eisbär während dieser Zeit nur einmal gesehen, am 18. oder 19. Juli. Ein relativ großer ausgewachsener Bär lief am Ufer der Nachbarinsel entlang, etwa in 400 - 500 m Entfernung. Danach ging er ins Wasser und schwamm zu meiner Insel herüber. Er kam etwa 200 m von mir entfernt aus dem Wasser und kam dann langsam auf mich zu. Ich machte auf alle Fälle meine Signalraketen bereit, schrie und gestikulierte in Richtung auf den Bären, wünschte ihm und allen seinen Artgenossen das denkbar unangenehmste, drohte ihm mit der Faust. Davon hat er sich offensichtlich einschüchtern lassen, denn in einer Entfernung von vielleicht 100 m blieb er stehen, wandte sich nach einigem Nachdenken ab und trollte sich zum Ufer. Nach etwa 1 km (ich beobachtete ihn durchs Fernglas) ging er ins Wasser und schwamm aufs offene Meer hinaus. Nach kurzer Zeit entschwand er in den Wogen und ich habe ihn nicht wieder gesehen.

Kein Streik:
Während der ganzen Zeit hatte mein Transceiver nicht gestreikt, das einzige Problem war, das bei den niedrigen Temperaturen das Mikrofon vom Atem schwitzte und das Wasser kondensierte. Ich hatte aber ein zweites Mikrofon dabei und immer, wenn ich die Info über schlechte Modulationsqualität erhielt, tauschte ich die Mikros aus und trocknete das feuchte Mikrofon auf der Endstufe oder über meinem kleinen Herd. Einmal Ende August gab die Endstufe ihren Geist auf, 2 von 4 Widerständen in den Anodenkreisen der Endstufen- röhren brannten durch. Ohne die Anodenwiderstände zeigte die Endstufe Selbsterregung, ich arbeitete deshalb 2 - 3 Tage mit kleinerer Leistung mit nur 2 Endröhren. Danach riskierte ich es und verband jeweils 2 Röhren über nur einen Widerstand. Die Endstufe funktionierte wieder einwandfrei, es gab keine weiteren Probleme mit der Funktechnik. Auch die Masten mit der Antenne hielten durch - sie überstanden auch einige ziemlich heftige Stürme.
In der Vorbereitungszeit habe ich viel darüber nachgedacht, was man so alles an Ersatzteilen für Reparaturen am Equipment mitnehmen sollte und bin doch zu dem Schluß gekommen, daß man sowieso nicht alles vorhersehen kann. Ich packte deshalb nur einige Ersatzröhren für den Transceiver und die Endstufe ein, einen Lötkolben, Vielfachmeßgerät, etwas Draht, Werkzeug (Zange, Schraubendreher, Schraubenschlüssel) und einige Ersatzteile für die Stromaggregate. Meine Hoffnungen auf ein gutes Ende erfüllten sich. Vom ersten bis zum letzten Tag hatte ich keine größeren Probleme mit der Ausrüstung.

Es wird eng!
Da ich einen Teil meiner Tätigkeit im Äther immer mit Akkus arbeitete, eine 6 - Stunden-Ladung reichte für ca. 20 - 25 Stunden Solobetrieb des Transceivers, konnte ich etwa 30% Benzin sparen bis Mitte August. Nun tauchte aber ein anderes Problem auf: Benzin hatte ich noch für etwa 2 Wochen normaler Arbeit im Äther, aber die Grundlebensmittel - Zigaretten, Brot und Zucker - waren alle, reichten nur noch für 3 - 4 Tage. Was also tun? Ich rief auf der UKW-Frequenz den Hubschrauber an und bat den Piloten, sich mit meinen Arbeitskollegen auf der Basis in Verbindung zu setzen. Sie sollten versuchen, auf meinen Namen Lebensmittel zu bekommen, die einmal im Monat ausgegeben werden und diese bei einem gelegentlichen Vorbeiflug mir zukommen zu lassen. Der Pilot versprach meine Bitte weiterzugeben. Es vergingen einige Tage im Regime extremer Sparsamkeit; Zigaretten und Zucker waren bereits alle und auch Brot, Zwieback und der letzte Rest Mehl, um Fladen zu backen, waren aufgebraucht. Ich begann zu hungern. Ich teilte meinem Freund Rolf, DL6ZFG und Alexej, UA3BT, mit, daß alles nichts hilft und ich morgen oder übermorgen den Hubschrauber rufe und die Expedition beende. Ich höre mir noch ihre "Mitleidbekundungen" einerseits und Gratulationen zur durchgeführten Expedition andererseits an, verabschiede mich und beende das QSO.

Die Expedition wird fortgesetzt!
Sprichwörtlich im selben Augenblick höre ich das Grummeln eines Hubschraubers und klettere aus meiner Hütte. Der Hubschrauber fliegt in großer Höhe über mir in Richtung Süd-West. Möglicherweise eine Eiserkundung oder ein Hubschrauber der Grenztruppen oder ein Flug von der Polarstation auf der Insel Belij nach Workuta oder Anderma, denke ich. Wer weis! Ich verfolge den Hubschrauber mit meinen Augen und trolle mich in die Bude, um noch ein paar QSO's zu fahren. Nach etwa 5 Minuten wieder das Hubschrauber- geräusch, diesmal viel lauter. Ich stürze aus der Hütte und traue meinen Augen nicht, offensichtlich derselbe Hubschrauber kommt viel niedriger zurück, dreht eine Runde und setzt zur Landung an. Ich werfe mir schnell eine Jacke über, stülpe meine Panzerkappe auf den Kopf und renne zu meinem Landeplatz und gestikuliere: Hier kann man landen!  Der Hubschrauber setzt auf, die Tür öffnet sich, der Bordmechaniker springt heraus und schreit mir die Frage ins Ohr : "bist Du der Funker?"  Ich nicke.  "Wassilij?"  Ich nicke wieder. Der Bordmechaniker zerrt einen großen Karton aus der Tür und schmeißt ihn auf den Boden. Ich habe schon begriffen, was das ist. Er springt zurück in den Hubschrauber, die Tür knallt zu und der Hubschrauber schießt mit Gebrüll davon. Ich kann gerade noch dem Piloten kurz zuwinken. Die Landung, Übergabe des Pakets und Start nahmen weniger als 20 sek in Anspruch. Ich trage meine "Beute" nach Hause. Auf dem Paket die originelle Adresse: "Sharopovy Koshki, dritte Insel, Funker Wassilij". Ich öffne den Karton - mehr kann man sich nicht wünschen! 10 Brote, Zucker, Konfekt, Tee und das Wichtigste - 20 Päckchen Zigaretten. Ein kleiner Zettel von den Freunden: Alles in Ordnung,  man wartet auf meine Rückkehr.
OK, nun geht es weiter - die Expedition wird fortgesetzt.

Und Schluss:
Anfang September gebe ich im Äther bekannt, das ich noch für etwa 3 - 4 Tage Benzin habe, es geht dem Ende zu. Am 4. September nach dem QSO mit JK1KHB verstummt das Stromaggregat, der Sprit ist alle!
5., 6. und 7. September arbeite ich aus den Akkus. Am 7. September um 18.45 UTC nach dem QSO mit DL5NDX streikt der Transverter, die Akkus sind leer. Ich mache Abendbrot und lege mich schlafen. Am nächsten Tag rufe ich den Hubschrauber und bitte, mich am 9. oder 10. September abzuholen.  Der  Flug- kapitän bietet mir an, sofort zu mir zu fliegen, ich lehne aber ab, da ich etwa 5 - 6 Stunden brauche, um die nötigsten Sachen zusammenzupacken und zum Landeplatz des Hubschraubers zu schleppen. Ich suche meine Sachen zusammen und verpacke sie in Kisten. Gegen Abend ist alles bereit, am Morgen des 9. September warte ich auf den Hubschrauber.
Was nicht kommt, ist der Hubschrauber.
10. September - kein Hubschrauber!
11. September - kein Hubschrauber!
Ich hatte noch einige wenige Zigaretten und ein Stückchen Konfekt zum Tee. Ich beschloss, mich per UKW über die Hubschrauberfrequenzen in Erinnerung zu bringen. Ich brachte am Abend die UKW-Station, UKW-Antenne und die letzten Akkus zur Hütte und bereitete alles vor. Früh am 12. September um 9.00 Uhr Ortszeit schaltete ich auf die Hubschrauberfrequenz. Um diese Zeit beginnt normalerweise der Flugbetrieb. Nach einiger Zeit höre ich den Rapport des Hubschrauberpiloten an den Dispatcher: Abflug von der Basis, Kurs da und da hin, dritte Insel, Sharapovy Koshki. Alles klar, das gilt mir. Flugzeit bis zu mir etwa 15 Minuten, deshalb packe ich die Technik eilig zusammen und renne mit dem Rest der Ausrüstung zum Landeplatz. Ich schaffe es gerade so, der Hubschrauber setzt bereits zur Landung an. Passagiere sind keine im Hubschrauber, nur der mir bekannte Helfer zum Einladen. Zu zweit schmeißen wir im wahrsten Sinne des Wortes alle Kisten und Kartons in den Hubschrauber, die Akkus, die Technik und alles übrige. Der Bordmechaniker hilft beim Verladen des riesigen Aggregates. Nach 3 - 4 Minuten absoluter Hektik ist alles verstaut, wir fliegen los. Kurs zur Basis. Während des Fluges komme ich etwas zu mir. Auf der Basis alles raus aus dem Hubschrauber auf die Piste. Ich gehe mir eine Transportgelegenheit suchen. Erstaunlicherweise fand sich sehr schnell ein Lastwagen und zwei mir gut bekannte Hilfsarbeiter. Leider fand ich keinen Lastenschlitten für den Raupenschlepper und so luden wir meinen ganzen Kram auf den LKW und die Raupe schleppte diesen dann durch die morastige Tundra zum Standort meiner Funk-Relais-Station und dort luden wir dann alles wieder ab.
Die Expedition ist zu Ende und ich kam nach etwa 2 Monaten zum Ausgangspunkt zurück, gesund und munter, aber ziemlich müde und erschöpft. Nachdem ich mich etwas erholt hatte und meine Erlebnisse im Kreise der Kollegen zum Besten gegeben hatte, begab ich mich zur Basis der Elektrostation. Dort gab es eine kleine Sauna. Die Elektriker sind meine guten Freunde - deshalb war ihre private Sauna zu jeder Zeit für mich geöffnet. Ich verbrachte etliche Zeit darin und ordentlich "geschwitzt und gewaschen", fühlte ich mich wie neu geboren. Abends machte ich mich in gehobener Stimmung auf den Weg zu meinen Freunden, den Ladearbeitern, die mir beim Ausladen geholfen hatten. Dabei hatte ich zwei Halbeliter-Flaschen Sprit, die ich wohlweislich für den Fall der glücklichen Rückkehr zurückgelegt hatte. Der Abend verging schnell in freundlicher Stimmung, meine Freunde mußten früh wieder raus, ich konnte noch einen Tag frei machen.
Meine Arbeit an der Relais-Stelle trat ich am 14. September wieder an.
Eigentlich könnte man an dieser Stelle den Punkt setzen, aber ich möchte doch noch das eine oder andere hinzufügen. Das einzige Frische , was ich beim Abflug auf die Insel mitnehmen konnte, waren 2 oder 3 Zwiebeln. Die konnte ich auf 2 Wochen strecken, indem ich jeden Tag nur ein klitzekleines Stückchen as. Aber ich hatte Glück - nicht weit von dem See, wo ich Wasser holte - wuchsen Tundrabeeren - "Moroshka". Sie reifen in der zweite Hälfte August/Anfang September und beim Wasserholen sammelte ich immer ein / zwei Hände voll dieser sauren, wässrigen Beeren. Vitamine sind es auf jeden Fall. Apropos, eine Episode mit Vitaminen, die sich im August 1994 ereignete. Es ist kaum zu glauben, aber es ist wahr. Ein in diese Episode Involvierter hat es mir selbst erzählt. Ende August 1994 landete ein Flugzeug aus Tjumen. Einer der Arbeiter brachte etwas frisches Obst und Gemüse mit. (((Damals nach einem Jahr auf Charasovej entfiel auf mich eine Handvoll kleiner Weintrauben, 1 Tomate von der Größe eines Tischtennisballes und ein Stückchen Apfel,  ja und noch im Mai beim Entladen eines Hubschraubers konnte ich einige Zwiebeln und 2 Kartoffeln klauen))). Also nach der Ankunft des Fliegers aus Tjumen, treffen sich am nächsten Tage 2 Freunde und Sergej sagt: "Höre, Slava, man hat mir gestern eine Tomate zum Kosten geschenkt". Slava verdaut einige Sekunden diese Neuigkeit und antwortet: "Na und? Ich wurde gestern auch eingeladen....", und nach einer Pause zeigte er mit seinen Fingern etwas, ca. 15 cm lang und setzte hinzu: " so was langes und grünes..." wieder eine Pause. Sergej, nachdenklich, was das wohl gewesen sein könnte, fragte. "..eine Gurke?" Slava nickte erfreut mit dem Kopf: " ja, ja, Gurke!" Und man sollte nicht denken, daß bei Slava nicht alles richtig sei im Kopf, oder , daß er betrunken wäre. Nach 12 Monaten in der menschenlosen Tundra, nichts anderes an Lebensmittel sehen als nur Makaroni, irgendwelche Konserven und Fisch, hatte er ganz einfach vergessen, wie eine Gurke heißt.... Nach Hause, nach Tjumen kam ich erst im Januar 1996. Ich begann über die Organisation einer neuen Expedition nachzudenken, diesmal auf eine Insel - new one, auf eine Insel der Inselgruppen im Osten der Halbinsel Taimyr, dort, wo es noch "weiße Flecken" auf der IOTA-Karte gibt. Aber wieder kam alles anders, als gedacht. Meinen Kollegen und mir wurde das Gehalt um das Vierfache gekürzt, dabei hatten wir schon über ein Jahr lang den ausstehenden Lohn überhaupt noch nicht erhalten, und das wenige, was man erarbeiten konnte, ging für die Verpflegung auf der Basis am Cape Charasovej drauf, wo man kein Geld brauchte, sondern alles von Lohn abgezogen wurde. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe (Sommer 1997 - DL6ZFG), bin ich bereits ein halbes Jahr arbeitslos. Die Funkstation, wo ich tätig war, wird plötzlich nicht mehr gebraucht. Mitgeteilt wurde mir meine Entlassung, als ich daheim im Urlaub war, ich konnte noch nicht einmal zur Basis Cape Charasovej zurückkehren, um meine Ausrüstung abzuholen oder andere private Sachen, die in der Zwischenzeit sicher schon geklaut und verschwunden sind. Gehalt hatte ich seit Januar 1995 nicht bekommen - jetzt gibt es natürlich auch nichts. Arbeit in der Stadt? - mit meiner "Polar-Ausbildung"  braucht mich hier niemand. Arbeitslosengeld gibt es umgerechnet etwa 20 Dollar im Monat. Wir (ich und meine Kinder, Tochter 16 Jahre und Sohn 11Jahre alt, beide noch in der Schule) liegen meiner Frau auf der Tasche, die von früh bis spät arbeitet. Ich scherze manchmal: " einer muß ja wenigstens was tun!" Zusätzlich läßt auch meine Gesundheit nach 20 Jahren  Polar-Einsatz zu wünschen übrig. Ich muß also auf bessere Zeiten hoffen, aber für schlechtere bereit sein.
Man sagt, die Pessimisten sind der Meinung, daß es in Rußland so schlecht sei, daß es schlechter nicht werden kann, aber die Optimisten meinen, es geht noch weiter, es wird noch schlechter!
Meine Expedition auf Sharapovy Koshki kostete mich  alles in allem  etwa 2,5 Tausend Dollar, wenn ich den Lohnausfall in dieser Zeit dazu rechne, vielleicht 3.000 Dollar, praktisch also mein gesamtes Gehalt für 12 Monate. Möglicherweise denkt jemand, der diese Zeilen liest: Der ist ja verrückt geworden , in seinem "hohen Norden", jahrelang nicht zu Hause, vergißt, wie Gurken aussehen, nichts zu "fressen" für seine Kinder, aber haut 3000 Grüne raus, für Benzin und Hubschrauberflüge, um auf eine Insel zu kommen.
Ich mußte das aber tun,  wer sonst,  wenn nicht ich? Die russischen Inseln müssen doch "in der IOTA-Luft" sein. Sicher ist es teuer, schwierig und schwer, auf sich selbst gestellt, ohne fremde Hilfe eine Ein-Mann-Expedition auf eine unbewohnte arktische Insel zu organisieren und durchzuführen - das alles ist aber vergessen, wenn du ein Dankeschön auf den QSL-Karten liest, oder im Äther warme, aus tiefsten Herzen kommende Worte des Dankes hörst, für ein "new one", für die Verbindung mit einem Punkt auf unserer Erde, den sich viele gar nicht vorstellen können, Grüsse von Neuseeland bis Franz-Josef-Land.  Wunderbar, wenn du Monate und Jahre nach deiner Expedition von deinen Korrespondenten Worte des Dankes für das QSO irgendwann mal hörst. Ein wunderbares Gefühl,  daß man dich in vielen Winkeln des Erdballes kennt und sich an dich erinnert.